Wir hoffen es hatten alle einen wunderbaren und kämpferischen Ersten Mai. Die FAU Ruhr war mit einem Stand in Dortmund beim Stadtteilfest am Union Salon und die Stimmung und auch die vielen Gespräche waren super. Danke dafür! Kleiner Wehrmutstropfen war lediglich, dass unsere fertige Erste-Mai-Rede wegen zu vollem Programm doch nicht gehalten werden konnte. Somit veröffentlichen wir diese hier für euch:
Eine stetige Erhöhung des Arbeitstempos plus kaum vorhandene Schutzkleidung und Sicherung führen dazu, dass es vorkommt, dass Arbeiter:innen bei der Produktion von Mähmaschinen ihre Finger oder ganze Gliedmaßen verlieren. Neben dem schnellen Tempo und fehlender Sicherung ist die Erschöpfung ein großer Faktor der Arbeitsunfälle, wenn 10 bis 12 Stunden am Tag gearbeitet wird.
Weiterlesen: Unsere Rede zum ersten Mai 2025 in DortmundDies war Ende des 19. Jahrhunderts bei der Firma McCornick in Chicago der Fall. Nachdem Arbeiter:innen dieser Firma im April 1886 für den 8-Stunden-Tag demonstrierten, breiteten sich die Proteste am 1. Mai in den ganzen USA aus. Geschätzt gingen zwischen 300 und 500 Tausend Menschen auf die Straße für den 8-Stunden-Tag. Die Löhne reichten nicht zum Überleben, die Mietwohnungen der Arbeiter:innen waren überfüllt, bei den über 60-Stunden-Wochen war kaum noch ein Leben möglich. Ein Slogan, der damals gerufen wurde, lautete: „Man kann nicht ewig wie ein Stück Vieh leben!“
Sie hatten Erfolg mit den Protesten. Nach mehreren Jahrzehnten etablierte sich in immer mehr Ländern der 8-Stunden-Tag. In Deutschland gilt er seit 1918.

Ich mache einen Zeitsprung zu unseren heutigen Arbeitsbedingungen: Die Löhne reichen immer weniger zum Überleben, der Wohnungsmarkt wird immer teurer und 2,5 Stunden Pendelzeit pro Tag gelten als zumutbar, was einen beruflichen Zeitaufwand von 11 Stunden pro Tag ergeben kann. Das alles ist schon beschissen und nun kommt unsere vermutlich neue Bundesregierung mit einem Koalitionsvertrag an, in dem der 8-Stunden-Tag abgeschafft werden soll. Die SPD hatte die Frechheit diesen Vertrag mitauszuhandeln. In diesem begründen sie die vorgeschlagene wöchentlichen Höchstarbeitszeit mit mehr Flexibilität der Arbeiter:innen für ihre Familien – während davon auszugehen ist, dass in den prekären, also in den meisten Jobs einfach immer mehr Flexibilität von den Arbeiter:innen und nicht umgekehrt erwartet wird. Wenn dies nicht verhindert wird, ist es also nicht mehr weit entfernt, dass es für Familien immer schwieriger wird, Ausflüge zu planen oder gemeinsam einfach nur zu Abend zu essen oder das Kind von der Kita abzuholen. Freund:innen zu treffen kann schwerer werden, Hobbys auszuführen – kurz gesagt: Es könnte immer schwerer werden, unser Leben so zu gestalten, wie es überhaupt lebenswert ist.

Immer weniger Reallohn, immer weniger Festverträge, immer weniger Arbeitsstellen bei gleichzeitigen Kürzungen der Sozialleistungen, steigende Arbeitsverdichtungen, immer mehr Leiharbeit – ich könnte noch viel anführen bei diesem traurigen Namedropping – aber das muss ich nicht. Wer in einem beschissenen Job arbeitet, weiß, dass die Interessen der Chef:innen denen von uns widersprechen. Und auch wer gut verdient, ist eventuell von einer immer höheren Bullshitisierung, immer sinnlosereren Tätigkeiten und einer totalen Verblödung und Verödung betroffen.
Ist gesellschaftlich Arbeit möglich, die nicht größtenteils sinnlos und/oder absolut erschöpfend ist und für die wir nicht unsere Familie, Freund:innen und Hobbys vernachlässigen müssen? Ich denke, die Frage ist zu vernachlässigend und kann einfach mit „Ja“ beantwortet werden. Die große Frage ist natürlich: Was wir dafür tun können?

Ich bin vor fünf Jahren der FAU beigetreten. Mein damaliger Job bei Flaschenpost war es, für wohlhabende Menschen Getränkekisten auf ein Fließband zu stellen, die lieber stilles Bio-Wasser mit einem Auto geliefert haben wollten, anstatt Leitungswasser zu trinken. Noch mehr als diese Sinnlosigkeit habe ich meinen Chef gehasst, der uns verbot bei der stumpfen Tätigkeit Musik zu hören und uns Tipps gab, wie wir schneller gehen konnten, um als schnellste Person ein paar Cent mehr Bonus-Lohn zu bekommen. Damals hatte ich mein erstes Beratungsgespräch bei der FAU. Da ich schnell kündigte, passierte damals noch nicht viel. Doch die erste Idee davon, was meine Kolleg:innen und ich erreichen können, wenn wir die Kraft haben, uns gemeinsam zu wehren, war da.

Viele meiner nächsten Stellen liefen nicht besser und ich musste immer wieder immer mehr Gelerntes anwenden. Über die Jahre habe ich bei der FAU immer mehr über das Arbeitsrecht gelernt, wie ich Paragraphen lese und was ich bei Arbeitsrechtsverletzungen mache. Ich lernte und lerne immer mehr übers Organizing, wie ich meine Kolleg:innen anspreche, welche Formen des Widerstands es gibt und wie man einen Eskalationsplan entwickelt.
Sich am Arbeitsplatz zu organisieren, hört sich zunächst nicht weltbewegend an und noch sind wir zu wenige, um wie 1886 mit Hunderttausenden auf die Straße zu gehen. Aber wir können schon jetzt mit unseren eigenen Arbeitsbedingungen anfangen. Vermutlich werden wir dabei sogar mehr. Und dann werden wir bald mit Tausenden rufen: „Man kann nicht ewig wie ein Stück Vieh leben und werden wir auch nicht!“ Und aus traurigem Anlass werden wir schon jetzt rufen: „Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf, acht Stunden Freizeit.“